Der Vogelbeobachter

Text: Heidi Siefert, Fotos: Andreas Leder  Mit freundlicher Genehmigung des Oberlander, 3/2020
Text: Heidi Siefert, Fotos: Andreas Leder Mit freundlicher Genehmigung des Oberlander, 3/2020

Gerhard Kinshofer ist der Mann, an den man zuallererst denkt, wenn es im Oberland um Vögel geht. Der 75-jährige Miesbacher ist seit 1996 Vorsitzender der 1986 gegründeten Kreisgruppe Miesbach des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern (LBV) und als solcher nicht nur ein engagierter Kämpfer für Artenschutz und Biotope. Mit enormem Wissen und ansteckender Leidenschaft begeistert er auch andere für die Natur.

 

„Der Seehamer See ist ein Rasthaus für Wasservögel“, schmunzelt der Mann mit dem weißen Bart und den leuchtenden Augen und vergleicht das kleine aber bedeutende Gewässer mit den Servicestationen für „die Autos mit den gelben Nummerntaferln“. Ein Bild, das umso besser passt, als die Autobahn nur einen Flügelschlag neben diesem besonderen See liegt, den nicht nur heimische Wasservögel schätzen. Er ist Halt für Zugvögel und eine besondere Drehscheibe auf deren weitem Weg zwischen Sommerstandort und Winterquartier. Gerhard Kinshofer verbindet mit ihm ein besonders enges Band. Seit 30 Jahren ist er fast täglich hier anzutreffen.

 

Seit drei Jahrzehnten zeichnet er die Zahlen auf

Guido Robeck hilft beim Zählen und springt ein, wenn er selbst nicht kann. Unter anderem realisieren sie so in einem Gemeinschaftsprojekt mit der Vogelschutzwarte Garmisch eine nahezu lückenlose Bestandserhebung der Wasservögel. So hat Kinshofer über Haubentaucher, Gänsesäger und Kormoran seit drei Jahrzehnten nahezu täglich Aufzeichnungen gemacht, die aufgrund ihrer außergewöhnlichen Vollständigkeit eine wertvolle Grundlage für fundierte Betrachtungen sind. Als Nahrungskonkurrenten nutzen die drei dieselben Bereiche zur selben Zeit und kommen doch wunderbar miteinander klar.

 „In der Natur läuft es noch rund, und keine Art behindert die andere“, hat er immer wieder festgestellt. Aufgewachsen ist er in Parsberg „und heute immer noch da“, erzählt er und dass er immer schon die Natur und die Tiere geliebt habe. So, wie seine ganze Familie. Gelernt hat er bei Primus-Traktoren. und bis zu seiner Rente hat er den Lehrbetrieb zwar nicht verlassen, aber insofern genug Abwechslung gehabt, als er fünf Inhaber erlebte. Zuletzt war es die „Kinshofer Greiftechnik“, für die er als Einkäufer arbeitete. Schon damals engagiert sich Gerhard Kinshofer für den Vogelschutz. Richtig intensiv wird es, nachdem er 1990 als Freiwilliger bei der Wasservogelzählung am Seehamer See dabei war. Kaum ein Tag, an dem er nicht draußen ist, sein Fernglas ansetzt, notiert oder mit der Kamera festhält, was ihn immer wieder aufs Neue begeistert. Erst kürzlich war es ein Eisvogel, den er mit einem kleinen Fisch im Schnabel aufs Bild bannte. An der Leitzach hatte er ihn entdeckt, wo der Ornithologe ein Stück durchs Wasser waten musste und zunächst in seinem Rücken ungehaltenes Gezwitscher hörte. „Der hat sich beschwert, dass durch meine Schritte das Wasser trüb geworden ist“, lacht Kinshofer, und man hört ihm die Begeisterung für die Tiere an, für die er sich im Lauf der Jahre immer mehr ins Zeug legen muss, weil im Voralpenland nicht nur die Räume für ungestörte Natur immer weniger werden.

 

„Für viele Menschen ist die Natur wie eine Arena, die man nach Gutdünken nutzt.“

Gerhard Kinshofer

 

Auch die Achtsamkeit seiner Mitmenschen nimmt immer mehr ab. Für viele sei die Natur nur noch wie eine Arena, die man nach eigenem Gutdünken nutze. Einige gedankenlos, viele rücksichtslos und ohne Verständnis dafür, dass eine Campinggarnitur im Schilfgürtel so wenig angebracht ist, wie nächtliches Joggen mit Stirnlampe im Wald, Badeboote mit Elektromotor auf dem kleinen See oder Kajakfahrer mitten in einer Blässhuhngruppe. Der aus Vogelperspektive mächtig aussehende und an einen Jäger erinnernde Standup-Paddler im Schilfgürtel verängstigt die Tiere ebenso, wie das surrende Geräusch einer Drohne, erzählt der Mann, den es auch umtreibt, dass er nicht jedem einzeln danken kann, der den LBV mit einer Spende unterstützte, als heuer wegen Corona die jährliche Haussammlung ausfallen musste. „Wir haben 50 Prozent weniger Vögel am See, als voriges Jahr“, bedauert der Experte, der gerade die jüngsten Zählungen abgeschlossen und ausgewertet hat. Im Gegensatz zu Stockenten und Haubentauchern am Schlierseer Kurpark seien Zugvögel keine Menschen gewöhnt. Eine Reiherente aus der sibirischen Tundra, eine Kneckente auf dem Weg nach Kapstadt oder ein Odinshühnchen auf dem Weg von Island nach Westafrika schrecke auf und fliege weg. Im schlechtesten Fall, ohne so gut ausgeruht und satt zu sein, dass sie es bis zum nächsten Ruheplatz schaffen ohne erschöpft zu verenden.

 

Engagierte Kinder machen ihm Hoffnung

Was Kinshofer Hoffnung macht, sind die Kinder. Ob sie mit seinem Kollegen Georg Zech in Kindergärten und Schulen Vogelhäuschen bauen, mit ihm zum Springkraut-Ramadama antreten oder sich im Rahmen eines Projektes am Gymnasium Miesbach um ein Biotop am Waldhof kümmern, wo ihr Engagement mit seltenen Schmetterlingen und wilden Orchideen belohnt wird. Bei so einem Miteinander geht ihm das Herz auf, weil er sieht, wie die Mädchen und Buben ein Gespür für Pflanzen und Tiere bekommen. Wenn er bei den Schulklassen, wie auch bei seinen Führungen am See das Interesse der Kinder spürt und ihre Fragen hört, hat er Zuversicht. „Da gibt‘s Potential“, freut er sich. Daraus schöpft er Kraft. „Mal schauen, wo die Reise mit den vielen Leuten hingeht“, sinniert Kinshofer und schiebt zuversichtlich hinterher: „Geben wir die Hoffnung nicht auf.“ Er selbst bricht wieder auf an den See. Heute muss er zügig machen, denn um 19 Uhr steht die monatliche Skype-Konferenz mit Kollegen im Terminplan. Unter anderem tauschen sie sich über die regelmäßigen Zählungen zur Monatsmitte aus. Denn nicht nur am See ist Kommunikation wichtig, sondern auch unter Gleichgesinnten, mit denen man Erkenntnisse, Probleme und Lösungsansätze diskutieren kann. „Es ist immer sinnvoll ins Reden zu kommen“, sagt er und zieht los.

 

 

Die verrücktesten Antworten, die Gerhard Kinshofer in den vergangenen Monaten am Seehamer See zu hören bekam, wenn er Menschen ansprach, die in Ruhezonen und Schutzgebiet gegen die Etikette verstießen:

 „Das ist Gesundheit, und die lassen wir uns nicht nehmen.“ (Ein älteres Paar, das direkt neben dem Verbotsschild zum Abpflücken von Pflanzen handliche Äste von Hagebuttensträuchern schnitt, um daheim bequem die vitaminhaltigen Früchte zu ernten.) 

„Haben Sie kein Verständnis, dass auch mein Hund ein Erlebnis braucht?“ (Ein Hundebesitzer, dessen Vierbeiner die kleinen Fischlein der Fischbrut zu erwischen versuchte, die im wärmeren Wasser des seichten Uferbereichs leben.) 

„Der Bauer mäht die Wiese ja auch ab.“ (Betagte Frauen, die sich einen üppigen Strauß Orchideen pflücken.) 


Stichwort

Der Seehamer See gilt vielen als schönster See südöstlich von München. Das aus einem Toteisloch des Inngletschers entstandene Gewässer ist Teil der Leitzachwerke, eines der modernsten Pumpspeicherkraftwerke Europas, und zusammen mit dem angrenzenden Wattersdorfer Moor ein ökologisch besonders wertvolles Gebiet. Insbesondere die Vogelwelt zieht der Seehamer See mit seinem Röhricht und Niedermoor am flachen Westufer an. Mehr als 160 Vogelarten wurden dort in den vergangenen Jahren beobachtet. Etliche brüteten mit Erfolg. Unter anderem besondere Vögel wie Schwarzhals- und Zwergtaucher, Wasserralle und Baumfalke. Besonders spannend ist für Ornithologen die Zeit des Vogelzugs, in der der Seehamer See wie alle voralpinen Seen Rastplatz ist. Neben seiner günstigen Lage zwischen Nord und Süd lockt der Seehamer See, dessen Grund einer Buckelwiese gleicht, mit vielen seichten Stellen. Dazu hat er Schwankungen durch das Kraftwerk, die Gezeiten am Meer ähneln. Das erzeugt trockenfallende Schlammflächen und Sandbänke, die Wattvögel besonders schätzen. Grünschenkel, Wasserrallen, Reiherenten aus Sibirien oder Tüpfelsumpfhühner suchen dann nach Stärkung für den weiteren Flug. Kneckenten oder Trauerseeschwalben, die in Südafrika überwintern sieht man ebenso, wie Kormorane, die auf dem Weg nach Süditalien in Schwärmen von 50 bis 60 Tieren eine Nacht bleiben. Die meisten ziehen weiter. Viele bleiben länger. So, wie die Schwimmgründelenten aus Sibirien, die sich nur durch einen weißen Spiegel von unseren Stockenten unterscheiden oder der Eisvogel, der von Herbst bis Weihnachten am Seehamer See lebt. Durch die Wasserbewegung des Kraftwerks friert der Seehamer See extrem selten komplett zu. Auf den eisfreien Flächen tummeln sich bis zu tausend Wasservögel. 

Gerhard Kinshofer wurde 2013 für sein unermüdliches Engagement mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. 2016 überreichte Bezirkstagspräsident Josef Mederer dem, wie er es nannte, „wandelnden Infozentrum“ die Bezirksmedaille. Am Seehamer See war der Miesbacher maßgeblich daran beteiligt, Naherholungsgebiet und Naturraum so zu organisieren, dass Mensch, Tier und Pflanzen ihre Bereiche haben. Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern LBV, Kreisgruppe Miesbach, veranstaltet regelmäßig einmal im Monat Treffen im Bräuwirt Miesbach, bei denen hochkarätige Referenten über unterschiedlichste Themen zu Vögeln und Natur sprechen. Bei den nächsten Terminen geht es um „Zugvögel im Klimawandel“ (3. November) und das Mangfallgebirge“ (1. Dezember). Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr. In unregelmäßigen Abständen veranstaltet der LBV am Seehamer See Vogelbeobachtungen.

 

Text: Heidi Siefert, Fotos: Andreas Leder

Mit freundlicher Genehmigung des Oberlander, 3/2020. Den Originaltext können Sie auf der Website des Miesbacher Merkur ab Seite 16 lesen